Gastbeitrag: Nachhaltigkeit – gestern Hype, heute schon Commodity?
Immer mehr Unternehmen achten auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, Mitarbeitern und Gesellschaft. Und alle wollen das natürlich auch nach außen tragen. Denn Druck kommt von allen Seiten: Der Gesetzgeber verlangt CSR-Berichterstattung, die Kunden einen schlanken Footprint und die Investoren eine überzeugende Strategie mit klar definierten Meilensteinen. Und klar, die zukünftigen Mitarbeiter wollen natürlich auch lieber für einen nachhaltigen Arbeitgeber arbeiten.
So schön sich diese Entwicklung auch liest – den Marketingverantwortlichen sollte das Thema "Zukunft der Nachhaltigkeitskommunikation" Kopfzerbrechen bereiten. Denn die Spielregeln ändern sich gerade: wir kommen aus einer Wettlaufphase zunehmend in einen Zustand der "Sättigung".
Das sind die Ursachen:
1. Fehlende strategische Basis
Man muss schon heute ein echter Vorreiter sein, um sich von anderen Marktteilnehmern abzusetzen. Denken Sie selbst an die Unternehmen, die Ihnen dazu einfallen. Sie alle haben Nachhaltigkeit in ihre DNA gebrannt und werden untrennbar damit verbunden. Die schlechte Nachricht für Sie: Ihr Unternehmen gehört mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht dazu.
2. Wachsende Regulatorik
Weil alle nachziehen (müssen), wird es immer schwieriger werden, aus dem Thema Nachhaltigkeit einen Vorteil zu ziehen. Wer wie weit ist, ist dann auch immer schwerer nachzuvollziehen. Was also, wenn alle nach UN Sustainable Development Goals (SDG) oder weiteren Standards kommunizieren? Dann wird Nachhaltigkeit schlicht und ergreifend zur Commodity.
3. Wahrnehmungsfokus der Käuferzielgruppen
Ganz besonders muss einen ein bestimmter Trend stutzig machen: Laut GWI Global Report 2023 sinkt in vielen Ländern seit einiger Zeit die Relevanz von Nachhaltigkeitsthemen bei der Auswahl von Marken und auch die Zahlungsbereitschaft für ökologische Produkte bereits wieder. Vermutlich eine Frage des Fokus: Überall auf der Welt müssen Produkte und Dienstleistungen einen Grundnutzen bedienen. Nachhaltigkeit ist ein Mehrwert, reicht aber allein als Argument nicht aus.
4. Die kommunikative Überdosis
Egal wie wichtig das Thema im Allgemeinen ist: Wenn es einmal zur Gewohnheit geworden ist, schalten sich die internen "Werbeblocker" der Adressaten ein und es wird nach wirklich relevanter Information gescreent. Und Relevanz entsteht ganz individuell beim Rezipienten: Wo sind meine Vorteile? Wer hier ohne nennenswerten Grund Nachhaltigkeitsaspekte in den Vordergrund schiebt, läuft in eine kommunikative Falle.
Von der Gießkanne zur "Me-Kommunikation"
Was bedeutet das für die Nachhaltigkeitskommunikation der Zukunft? Einen Ausgangspunkt zeigt der Meaningful Brands Report 2023 von Havas auf: "…von Marken wird erwartet, dass sie dazu beitragen, das tägliche Leben einfach besser zu machen - von der Erschwinglichkeit alltäglicher Luxusgüter über die Vereinfachung und Erleichterung von Aufgaben bis hin zum universellen Zugang zu Wohlbefinden." Mit anderen Worten: Marken müssen sich viel stärker darauf konzentrieren, die persönlichen Bedürfnisse ihrer Kunden anzusprechen und sich dazu viel stärker mit der individuellen Situation und den Zielen der Rezipienten auseinandersetzen.
Marketer müssen ran an die Menschen, das Individuum rückt in den Mittelpunkt. Willkommen in der Welt der Me-Economy.
Raus aus der Commodity-Falle!
Im Auge des Betrachters entscheidet sich die Frage nach Relevanz und Mehrwert. Um der Nachhaltigkeitskommunikation also einen Effizienz-Boost zu verpassen, bieten sich konkret drei Hebel an:
1. Rollen- und funktionsgerechte Inhalte
Welchen Mehrwert kann Nachhaltigkeit dabei bieten, Menschen in Organisationen bei der konkreten Lösung ihrer Aufgaben zu unterstützen? Hat der Adressat die Aufgabe, den Footprint der nächsten Produktgeneration zu verbessern? Ist es ein Facility Manager, der Einsparungen umsetzen muss? Oder eine strategische Einkäuferin, die konkrete Nachhaltigkeitsziele anvisiert? Wer diese Aufgaben kennt und adressiert, kann gezielt aufzeigen, wo die eigene Marke ihren konkreten Mehrwert entfaltet. Wird der Mehrwert nicht klar, kann Kommunikation sogar verwirrend oder verärgernd wirken.
2. Einstellungsgerechte Dosierung
Eine elementare Frage, die auf Zielgruppenebene aber nie jemand stellen würde, ist: "Wie steht die Kontaktperson generell zum Thema Nachhaltigkeit?" Ein überzeugter Enthusiast ist sicher schnell mit Augen und Ohren dabei. Wie ist es aber mit den kühlen Rechnern? Was, wenn Nachhaltigkeit eben nicht Priorität Nr. 1 hat? Auch wenn die meisten Menschen positiv eingestellt sind: Nachhaltigkeit stößt viel öfter auf taube Ohren als man denken mag. Weniger affine Menschen brauchen häufigere, aber dafür auch behutsamere Beschallung.
3. Situationsspezifische Formate
Erfolg und Misserfolg entscheiden sich im Zeitalter der Digitalisierung innerhalb kurzer Momente. Das "Wann" entscheidet also immer häufiger. Wenn man sich einmal vom Image-Gedanken löst, erkennt man, dass gerade Nachhaltigkeitsthemen nur in wenigen, dafür hoch relevanten Situationen "zünden". Wann also, in welchen konkreten Moment wird Nachhaltigkeit zum Entscheidungskriterium? Überlegen Sie sich: In welchen Momenten wird ein Kunde ihre Produktinfo oder Ihren Nachhaltigkeitsbericht wirklich lesen? Liest er ihn überhaupt selbst oder leitet er ihn weiter? Wer genau hinschaut erkennt, wie stark Informationen verdichtet, verstärkt oder erklärt werden müssen. Wenn Sie die Situationen kennen, lassen sich schnell spezifische Formate entwickeln, die passgenau zugespielt werden. Das erhöht den Effekt dramatisch.
Eine stärkere Customer-Centricity-Denke kann also den Effekt Ihrer Nachhaltigkeitskommunikation multiplizieren. Eine gute Hilfestellung bietet hierbei übrigens die Erstellung einer Touchpoint Map. Diese bringt alle zielgruppen- bzw. personaspezifischen Kriterien auf den Punkt und erlaubt es allen Beteiligten, auf einen Blick die richtigen Druckpunkte zu erkennen.